Konzerteinführung „MISSIO“
Versuch einer Einordnung eines problematischen Themas
„Versa est in luctum cithara mea“ (Meine Harfe hat sich zur Klage gewendet) – diese Sätze aus dem Buch Hiob, das erste Stück in unserem Programm, erhielten für die so genannte „Neue Welt“ eine schmerzhafte Wirklichkeit am 12. Oktober 1492, am Tag von Guanahani, an dem sich diese Welt (und auch die unsere) für immer veränderte.
An diesem Tag, kurz bevor eine Meuterei seine Mission beendet hätte, landete der Italiener Christoph Kolumbus auf Guanahani, einer Insel der Bahamas, die er San Salvador nannte. Wir wissen, nicht er hatte Amerika entdeckt.
Der Isländer Leif Erikson war über 400 Jahre eher schon da. Aber da zu seiner Zeit der Buchdruck noch nicht erfunden war, konnte er seine Entdeckung nicht so gut vermarkten wie Kolumbus. Wir wissen, Kolumbus hatte nicht Amerika entdeckt. Dass es sich um einen neuen Kontinent handelte, wurde erst um 1500 seinem Kollegen und Landsmann Amerigo Vespucci klar, der auch zum Namenspatron des neuen Kontinents avancierte.
Was Kolumbus entdecken wollte, war der Seeweg nach Indien …

Gemälde 1893, Library of Congress
Published by the Prang Educational Co., 1893. 40802Y U.S. Copyright Office.

Maximilian Dörrbecker (Chumwa)
Als Ende des 13. Jahrhunderts die letzte Ordensritterstadt Akkon in der Bucht von Haifa an die Mamelukken gefallen war, waren die Kreuzzüge krachend gescheitert, war das gesamte heilige Land in der Hand der Muslime. Das Osmanische Reich war dabei, sich den gesamten Vorderen Orient und ganz Osteuropa anzueignen. Damit entfiel für die Europäer der Handelsweg nach Cathay (dem heutigen China, das damals noch zu Indien gerechnet wurde), den Marco Polo mit seiner Reise zu Kublai Khan miterschlossen hatte.
Die nautische Vorherrschaft im Mittelmeer verlagerte sich von Italien auf die Iberische Halbinsel, in der Hauptsache nach Portugal.
Die Portugiesen entdeckten die afrikanische Atlantikküste – kaufmännisch, nicht kolonialisierend – und 1488 gelang Bartolomeu Diaz die Umrundung des Kaps der guten Hoffnung im äußersten Süden Afrikas. Der Seeweg nach Indien war gefunden, und Vasco da Gama landete 1498 an der Küste von Malabar.

The Sea: its stirring story of adventure, peril & heroism., Volume 2, 1887

Gregório Lopes, c.1524

Gemälde
Mariano Barbasán Lagueruela, 1882

Anon. Frühes Mittelalter
Derweilen waren die Spanier mit der Reconquista beschäftigt, der Rückeroberung ihres Landes von den Mauren. 711 hatte Tāriq ibn Ziyād die Halbinsel den Westgoten unter Roderich in der Schlacht am Río Guadalete abgenommen. Allerdings beruht diese Geschichtsschreibung auf nachweislich falschen asturischen Quellen. Diese Schlacht und diese Eroberung sind ein Gründungsmythos aus der Zeit der Almoraviden im 11. Jahrhundert, um die Machtübernahme der muslimischen Präsenz zu legitimieren.
780 Jahre später, 1491, kapitulierte der letzte muslimische Sultan Muhammad XII, genannt „Boabdil“, nach der Belagerung von Granada durch die Reyes Católicos, das katholische Königspaar Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón. Durch deren Heirat kam der größte Teil der iberischen Halbinsel sozusagen in eine Hand, auch wenn es noch kein gemeinsames Königreich Spanien gab. Die einzige wirklich gemeinsame Institution war die heilige Inquisition – vorzugsweise in Händen des Dominikanerordens. Mit dem Alhambra-Edikt von 1492 begann die völlige Vertreibung von Muslimen und Juden aus Spanien, obwohl letztere nicht unerheblich zur Finanzierung der Reconquista beigesteuert hatten. Damit entfiel für Spanien eine große dynamische Mittelschicht gebildeter und reicher Sefarden, und der Krone ging – nach einer Phase massiven Zugewinns durch Enteignung – das Geld aus.

Francisco Pradilla y Ortiz, 1882
Der kastilische Erbfolgekrieg endete 1479 mit dem Vertrag von Alcáçovas, der Portugal uneingeschränkten Einfluss auf den Kanarischen und Kapverdischen Inseln gewährte, darüberhinaus auf ganz Westafrika. Im Gegenzug verzichtete Portugal auf jeglichen Anspruch an Kastilien.
Damit jedoch war den Reyes Católicos auch der Seeweg um das Kap nach Indien versperrt.
Was nun?

Entwurf: Martin Behaim
Bemalung: Georg Glockendon d.Ä.
Germanisches Nationalmuseum
Schon im 3. Jahrhundert vor Christus erkannte Eratosthenes die Kugelgestalt der Erde, Aristarch von Samos und Seleukos von Seleukia hatten im 2. Jahrhundert vor Christus bereits ein heliozentrisches Weltbild entwickelt.
Aber erst mit der kopernikanischen Wende im 15. Jahrhundert tauchten erste Globen in Europa auf; der älteste erhaltene Globus stammt wiederum von 1492, Martin Behaims Erdapfel im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg (naturgemäß noch ohne Amerika). Die Vermutung, Indien müsse aufgrund der Kugelform der Erde auch auf dem Seeweg nach Westen erreichbar sein, brach sich Bahn und wurde von Kolumbus letztlich bestätigt. Die erste Weltkarte, die beide Amerika zeigt, ist eine osmanische Karte von 1513 (Piri Reis).

Piri Reis, 1513
Topkapi Palast
Ansonsten war das Weltbild sehr mittelalterlich: Seit Aristoteles wusste man, dass die bewohnbare Welt an den Säulen des Herkules (Gibraltar) endete. Westlich davon gab es nichts mehr außer Drachen, Monstern, Wilden, hundsköpfigen Menschen, Kannibalen etc., anschaulich bebildert beispielsweise auf den frühen Weltkarten und Globen des Mittelalters, oder auch in Schedels Weltchronik von 1493, einem bunt illustrierten Standardlexikon der Weltgeschichte.


Kannibalismus in Brasilien, 1557
Theodore de Bry, 1562
Kolumbus fand bei seinen Reisen also genau das, was er nach allgemeiner Kenntnis zu finden erwarten musste:
Unzivilisierte Wilde und Menschenfresser …
Erst 1537 wurden sie durch ein päpstliches Machtwort zu Menschen erklärt, davor — so berichten Zeitgenossen – behandelte man sie schlechter als Tiere.
Geraume Zeit später sprach man dann vom „edlen“ Wilden, um ihn in romantischer Verklärung sozusagen als naturbelassenes Vorbild der europäischen Dekadenz gegenüberzustellen. Darauf basiert ein Teil der Wirkung von Karl Mays „Winnetou“, aber auch tatsächlicher geschichtlicher Figuren wie z.B. Pocahontas.
Im 16. Jahrhundert betraten Conquistadores die Neue Welt, Glücksritter und Abenteurer, die nach schnellem Reichtum suchten. Auf Entdecker folgten Eroberer, und die indigenen Großreiche der Azteken, der Inkas, der Mayas waren dem Untergang geweiht. Ohnehin waren sie sehr instabil geworden durch die Vielzahl der Völker, Sprachen und Religionen, und durch die Ineffizienz ihrer Administration.
Die spanische Krone war zu klamm, um sich wirklich an einer Kolonialisierung zu beteiligen, die Conquistadores fuhren auf eigene Rechnung und eigenes Risiko, ein Fünftel der Beute jedoch beanspruchten die katholischen Könige. Die Eroberer waren den Indianern durch Bewaffnung, Pferde und Kriegshunde weit überlegen, und sie hatten keine Skrupel. Außerdem brachten sie Epidemien über den Atlantik, denen die Indianer nicht gewachsen waren.
Die Gier der Europäer war grenzenlos, auf der Suche nach dem sagenhaften El Dorado zerstörten sie – selbst oft unkultiviert – fast alles, was sie an indigener Kultur antrafen. Hernán Cortés, Francisco Pizarro, Lope de Aguirre – wie sie auch immer hießen: Glück haben ihnen ihre Unternehmungen nicht gebracht.
Aber auch die Missionare, die im Gefolge der Eroberer Lateinamerika erreichten, zerstörten – obwohl selbst alles andere als unkultiviert – fast alles, was sie an indigener Kultur antrafen, indem sie ihre eigene, vermeintlich überlegene Kultur darüberstülpten. In Hispanoamerika erfüllte die Kirche eine edukativ-disziplinierende Aufgabe, deren Bedeutung für die spanische Herrschaft nicht zu unterschätzen war. Sie verfügte über eine schnell etablierte Organisationsstruktur sowohl auf der Ebene der Bistümer und Pfarren wie auch der verschiedenen Mönchsorden, die an Dichte und Personalstand die königliche Verwaltung bei weitem übertraf. Franziskaner und Dominikaner begleiteten seit den Anfängen der Conquista die Spanier und ließen sich in Amerika nieder. Im Laufe der Zeit kamen auch noch die Augustiner-Eremiten und die Jesuiten. Der erste Bischof der Neuen Welt war Francisco García de Padilla O.F.M. (–1515) in Santo Domingo, Ende des Jahrhunderts wurden 31 Bistümer gegründet.
Zur Überwachung der Rechtgläubigkeit der nichtindianischen Bevölkerung wurden in Lima, in Mexiko-Stadt und in Cartagena eigene Inquisitionsgerichtshöfe errichtet.

Bischof von Quito 1546–1562
Maler unbekannt

Maler unbekannt
Soldat, Conquistador, Feldkaplan, schließlich Bischof von Chiapas in Mexico – einen Dominikaner müssen wir nun doch namentlich erwähnen: Bartolomé de Las Casas aus Sevilla, dessen Vater mit Kolumbus auf dessen zweiter Reise nach Hispaniola gefahren war, jener Antillen-Insel, die sich heute Tahiti und die Dominikanische Republik teilen. Von dort brachte er seinem Sohn einen versklavten Indiojungen mit, mit dem sich eine innige Freundschaft entwickelte.
Vom Saulus als Kolonist und Eroberer auf Hispaniola und Kuba entwickelte sich Las Casas zum Paulus – als glühender Verteidiger indianischer Rechte. In seinem Buch „Kurzgefasster Bericht von der Verwüstung der West-indischen Länder“ legt er flammendes Zeugnis ab von den Gräueltaten der Spanier.

John Carter Brown Library, Providence

Joos van Winhe, Theodore de Bry
„Sein Bericht handelt vom Kolonialismus in seiner frühesten Form, das heißt, vom blanken Raub, der unverhüllten Plünderung. Das verwickelte Ausbeutungssystem der internationalen Rohstoffmärkte war zu seiner Zeit noch nicht bekannt. Handelsbeziehungen spielten bei der spanischen Conquista keine Rolle, und nicht die Ausbreitung einer überlegenen materiellen Zivilisation, keine wie auch immer geartete »Entwicklungspolitik« diente ihr als Rechtfertigung, sondern ein hauchdünnes formales Christentum, das die Heiden bekehren wollte, soweit sie die Ankunft der Christenheit überhaupt überlebten. In seinem Urzustand verzichtete der Kolonialismus auf die Fiktion der Partnerschaft, des Tauschhandels. Er bot nichts feil, er nahm, was er fand: Sklaven, Gold und Genußmittel. Seine Investitionen beschränkten sich auf den unerläßlichen Kern jeder kolonialen Ausbeutung: auf die bewaffnete Macht, die Administration, die Flotte …“ schreibt Hans Magnus Enzensberger im Nachwort zu seiner Neuausgabe von Las Casas.
Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde Las Casas’ Bericht in Spanien angezweifelt, bekämpft, unterdrückt, und setzte sich letztlich doch als Wahrheit durch.
Wir lesen bei Las Casas in „Die Verheerung Westindiens“ (1552):
Unter mehreren Mordtaten vollbrachten sie folgende in einer großen Stadt, die mehr als dreißigtausend Einwohner hatte, und Cholula hieß. Alle Großen des Landes und der benachbarten Gegend gingen den Christen in einer Prozession zum Empfang entgegen, die von der Priesterschaft und ihrem Oberpriester angeführt wurde. Man bewillkommnete sie mit viel Respekt und Ehrerbietung, nahm sie in die Mitte, und quartierte sie in der Stadt und in denjenigen Wohnungen ein, die vom Landesherrn und andern Großen zur Bewirtung der Fremden bestimmt waren. Die Spanier aber beschlossen unter sich, ein Blutbad hier anzurichten, oder – wie sie es nannten – eine Züchtigung vorzunehmen, die von ihrer Bravour zeigen und zugleich in allen Winkeln des Landes Schrecken verbreiten sollte. Denn wenn die Spanier ein Land überfielen, so faßten sie allemal den Entschluß, ein grausames und unerhörtes Gemetzel anzufangen, damit diese sanften Schafe vor ihnen beben sollten. Zuvörderst schickten sie zu allen großen und vornehmen Herren in der Stadt und den dazu gehörigen Ortschaften, und ließen sie nebst ihren Oberherren zu sich entbieten. Sobald sie ankamen und herein traten, den Befehlshaber der Spanier zu sprechen, wurden sie sämtlich sogleich gefangen genommen, ohne daß es jemand bemerkte, der diese Neuigkeit bekannt machen konnte. Man verlangte fünf- bis sechstausend Indianer zum Lasttragen von ihnen; sie kamen sogleich und wurden in den hinter den Häusern befindlichen Hof gesperrt. Wenn man sah, wie diese Indianer sich anschickten, die Lasten der Spanier aufzuladen, so mußte man Mitleid und Betrübnis über sie empfinden. Sie kamen fast ganz nackt, hatten bloß ihre ledernen Decken über die Scham, und Netze mit ihren armseligen Lebensmitteln auf den Schultern, setzten sich mit untergeschlagenen Füßen hin und waren sämtlich so still wie die Lämmer. Als sie nun insgesamt angelangt und zu den übrigen, die sich bereits im Hofe befanden, gebracht worden waren, stellten sich bewaffnete Spanier zur Bewachung an die Türen des Hofes. Die andern alle legten Hand an das Schwert, metzelten und stießen hierauf alle diese geduldigen Lämmer nieder, daß auch nicht ein einziger dem Tode entrann. Zwei bis drei Tage nachher kamen viele Indianer wieder zum Vorschein, die noch lebendig waren, aber von Blut trieften. Sie hatten sich unter den Toten verkrochen, die haufenweis übereinander lagen, fielen nun den Spaniern weinend zu Füßen, und baten, man möchte Erbarmen mit ihnen haben und sie nicht umbringen. Diese wußten aber nichts von Mitleid und Barmherzigkeit, sondern hieben sie, so wie sie zum Vorschein kamen, in Stücken. Alle vornehme Herren, deren über hundert waren und die sämtlich in Fesseln lagen, befahl der Befehlshaber, an Pfahle zu binden, die in die Erde gerammelt da standen, und sie lebendig zu verbrennen. Dennoch gelang es einem dieser Herren, welcher der Vornehmste unter ihnen oder der König des Landes war, zu entspringen. Er raffte noch zwanzig, dreißig bis vierzig Mann zusammen, und flüchtete sich in den großen Tempel, welchen sie daselbst hatten. Dieser war einer Festung nicht unähnlich, und hieß in ihrer Sprache Quu. Hier verteidigte er sich beinahe einen ganzen Tag. Die Spanier aber, gegen welche es sich nicht gut wehren läßt, besonders von unbewaffneten Leuten, warfen Feuer in den Tempel, und verbrannten alle, die darin waren. Diese schrieen einmal über das andere: O ihr bösen Menschen, was haben wir euch denn getan? Warum bringt ihr uns um? Geht nur nach Mexico! Geht nur hin! Dort wird unser aller Oberherr, Montezuma, uns schon an euch rächen! Man sagt, während jene fünf- bis sechstausend Menschen im Hofe niedergehauen wurden, habe der Befehlshaber der Spanier gesungen:
Mira Nero de Tarpeya
A Roma como se ardia;
Gritos dan niños y viejos,
y el de nada se dolia.
(Vom Fels Tarpejens sah in Ruh
Dem Brande Roms einst Nero zu.
Zwar hört er Greis‘ und Kinder schrein;
Hart aber blieb sein Herz wie Stein.)Ein nicht geringes Blutbad richteten sie in der Stadt Tepecca an, die noch viel größer als jene war, und noch weit mehr Bewohner enthielt. Hier ließen sie eine unsägliche Menge Menschen über die Klinge springen, und verübten bei dieser Gelegenheit die unerhörtesten Grausamkeiten. Von Cholula zogen sie nach Mexico. Da sandte ihnen der große König Montezuma tausenderlei Geschenke, nebst einer Menge vornehmer Herren und anderer Leute entgegen, und ließ ihnen unterwegs allerlei Feten geben. Als sie an den großen Damm vor Mexico kamen, der zwei Meilen lang ist, ließ er sie durch seinen leiblichen Bruder empfangen, der von einer Menge großer Herren begleitet ward, und ihnen Gold, Silberplatten und Kleidungsstücke zum Geschenk überbrachte. Am Eingange der Stadt kam er ihnen persönlich auf einer goldenen Trage, nebst seinem ganzen zahlreichen Hofstaat entgegen, empfing sie, und begleitete sie bis in seinen Palast, wo er sie einzuquartieren befahl. Noch an eben dem Tage nahmen sie, wie mir einige, die dabei waren, erzählten, den großen König Montezuma, der sich ganz sicher glaubte, arglistiger Weise gefangen, gaben ihm achtzig Mann zur Bewachung, und warfen ihn in Ketten und Banden.

(Die Folterung des Cuauhtémoc – letzter aztekischer Herrscher von Tenochtitlán)
Leandro Izaguirre, 1893
Museo Nacional de Arte, Mexico-City
Ganz offensichtlich kannte der genannte Befehlshaber die Ensalada „El fuego“ von Mateo Flecha; wir haben sie in unserem Programm.
Ein aztekischer Zeitzeuge beschreibt seine Eindrücke vom ersten Zusammentreffen der Gesandten Montezumas mit den Spaniern so:
Sie schenkten den Spaniern Goldfahnen, Fahnen aus Quetzalfedern und goldene Halsketten. Nachdem sie ihnen das Geschenk überreicht hatten, wurde ihr [der Spanier] Gesicht heiter, sie freuten sich sehr und waren vergnügt. Wie Affen hoben sie das Gold auf. Es war, als ob sie zufriedengestellt worden seien, als ob ihr Herz neu und erleuchtet würde. Wirklich! Sie dürsten mächtig nach Gold, ihr Körper streckt sich, sie werden wie wild vor Hunger danach. Wie hungrige Schweine waren sie gierig nach Gold. Sie entreißen die goldenen Fahnen, schwenken sie hin und her, betrachten sie auf der einen Seite und auf der anderen. Sie sind wie jemand, der eine wilde Sprache spricht. Alles, was sie sagen, ist ein Kauderwelsch.

Theodore de Bry

Cortez und La Malinche treffen Moctezuma II, 8. November 1519
Unbekannter Tlaxcaltekischer Künstler, ca. 1550
Eine Kaziken-Tochter aus dem heutigen Veracruz wurde nach wechselvollem Schicksal zur Sklavin von Hernán Cortés, zu seiner Geliebten, und wegen ihrer außergewöhnlichen Sprachbegabung auch zu seiner Dolmetscherin. Allerdings war Nahuatl eine Art lingua franca der Region und vielfach Haupt-Verkehrssprache, was die Sache etwas vereinfachte. Malinche, wie sie hieß, oder auf spanisch Doña Marina, besaß großes diplomatisches Geschick und ein enormes Einfühlungsvermögen in die Denkweise unterschiedlichster indigener Völker, deren Sprachen sie beherrschte. Dadurch wurden viele Erfolge von Hernán Cortés überhaupt erst möglich.
Bernal Díaz de Castillo, ein Soldat Cortés’, schreibt in seiner „Geschichte der Eroberung Mexikos“:
Diese Frau war ein entscheidendes Werkzeug bei unseren Entdeckungsfahrten. Vieles haben wir nur mit Gottes Beistand und ihrer Hilfe vollbringen können. Ohne sie hätten wir die mexikanische Sprache nicht verstanden, zahlreiche Unternehmungen hätten wir ohne sie einfach nicht durchführen können.
Entsprechend umstritten ist sie in der historischen Wahrnehmung:
Manche Mexikaner sehen sie als Mutter der Nation, anderen gilt der „malinchismo“ als Synonym für den Verrat am eigenen Volk.
Reich bebildert wurde das alles von dem flämischen Kupferstecher Theodor de Bry in „Die West-Indischen Reisen“ (hrsg. 1590–1618), zweisprachig für ein europäisches Publikum in Deutsch und Latein:

Die Eroberung Amerikas wurde zur größten demografischen Katastrophe der Menschheitsgeschichte – nach der Sintflut. Es starben – je nach Betrachtung – geschätzt ca. 30 bis 90 Millionen Ureinwohner in kriegerischen Auseinandersetzungen, an der Schwere der ihnen zugemuteten Arbeitseinsätze als Bergleute, Plantagenarbeiter oder Perlentaucher, mehrheitlich auch an eingeschleppten Infektionskrankheiten, insgesamt ein Vielfaches von Stalins Holodomor und Hitlers Holocaust zusammen. Eine der Segnungen, die die Europäer nach Lateinamerika brachten, waren Pockenviren, bis dato unbekannt in diesen Breitengraden, aber auch Lepra und Tuberkulose, obwohl schon früher sozusagen „einheimisch“, flackerten stark wieder auf und hielten reiche Ernte.
Da die verstorbenen Arbeitskräfte ja dringend benötigt wurden, verschleppte man im Lauf der Jahre fast die selbe Anzahl an Schwarzafrikanern aus Angola oder Guinea dorthin, ein Geschäft, dessen sich dann vorzugsweise die Portugiesen annahmen, weil sie auf fast ganz Westafrika Zugriff hatten. Der Vorschlag dazu kam von Las Casas, der die Indios schonen wollte. Er hat ihn später bitter bereut, wurde doch daraus eine ganz eigene Tragödie, die bis heute ihre Nachwirkungen hat, siehe die „Rassentrennung“ in den USA …
Wenige Sätze noch zur Musik:
War im spanischen Mutterland neben der geistlichen Musik noch sehr viel Weltliches (vorwiegend über Liebesleid und Liebesfreud) komponiert worden, oder auch moralisierende Ensaladas, Quodlibets, wie z.B. „El fuego“ von Mateo Flecha, so finden wir in Lateinamerika fast ausnahmslos geistliche Werke zur Verwendung in den Klöstern und Kirchen. Teilweise wurden indigene Sprachen eingesetzt, um das Verständnis für die „Neuchristen“ zu erleichtern. Deren angestammte musikalische Welt kommt aber so gut wie gar nicht zum Tragen, die spanische Kultur obsiegte fast völlig.
Insofern ist es konsequent, dass aus der geografischen Bezeichnung Mittel- und Südamerika der Name Lateinamerika wurde. Eine „kulturelle Aneignung“ der ganz besonderen Art …

im Alter von 15 Jahren
Museo de Sor Juana Inés de la Cruz, Amecameca
Die Mexikanerin Juana Inés de Abaje y Ramírez de Santillana, besser bekannt unter dem Namen Sor Juana Inéz de la Cruz, eine hochintellektuelle Nonne der Hieronymitinnen – ein Orden, der in Europa ausnahmslos in Spanien und Portugal wirkte – und überzeugte Feministin, stand mit den Geistesgrößen des damaligen Europa im Austausch und galt als die bedeutendste spanischsprachige Lyrikerin ihrer Zeit und als begabte Komponistin. Sie starb an der Pest.

Juan de Miranda (1614–1885) zugeschrieben
Convento de Santa Paula, Sevilla
Der Peruaner Juan Pérez de Bocanegra, Lateingelehrter der Universität in Lima, wurde zum Spezialisten für indigene Sprachen wie Quechua oder Aymara. Als Franziskaner favorisierte er die reiche Bilderwelt der Andensprachen, wenn es darum ging, christliche Texte in indigene Sprachen zu übersetzen – im Gegensatz zu den Jesuiten, die eine Menge Lehnwörter aus dem Spanischen bevorzugten. In der Realität entstanden so durchaus bunte Sprachmischungen, Kreolisierungen, so bunt wie die Bevölkerung nach einer gewissen Zeit der Durchmischung von Indios, Weißen und Schwarzen.
Den einzigen Rest eingeborener Musikkultur unseres Programms finden wir bei Gaspar Fernandez in dem Stück „Eso rigo e repente“, das in seiner lebendigen und oft überlagernden Rhythmik noch den Einfluss der ursprünglichen Volksmusik erahnen lässt. Allerdings eher der schwarz- afrikanischen als der lateinamerikanischen. Sein Villancico „Xicochi“ schrieb er in der Sprache der Nahua-Bevölkerung Mexicos. Die Mehrheit seiner Villancicos ist im Oaxaca Codex enthalten.

aus einer Serie über Mischehen in Mexiko
Mexikanische Schule, undatiert, Öl auf Leinwand

Fotografie vom 11. Oktober 2013
Diego Delso
Afrokaribische Kultur durch die Brille europäischer Stereotype, komponiert von einem Europäer: Gaspar Fernandez kam aus Évora in Portugal im Alter von 33 Jahren nach Guatemala, später nach Puebla in Mexico, wo er bis zu seinem Tod Kapellmeister war. Zumindest ist das die Sicht der musikwissenschaftlichen Forschung bis vor Kurzem.
Inzwischen gilt die Existenz eines Seminaristen Gaspar Fernandez am Colegio Seminario de La Asunción in Antigua Guatemala bereits für eine Zeit belegt, in der sich sein Namensvetter laut den Dokumenten der Kathedrale von Èvora noch lange nachweislich in Portugal aufgehalten hat. Es war der guatemaltekische Fernandez, der 1606 Kapellmeister an der Kathedrale von Puebla de los Ángeles in Mexico wurde.
Was wiederum zwingend zu einer Neubewertung führen sollte, wenn Fernandez doch im Bischofssitz Guatemala geboren wurde …
Als wir uns auf diese musikalische Entdeckungsreise entlang der Eroberung und Missionierung Lateinamerikas begeben haben, hatten wir eigentlich mehr zu finden erwartet, als „nur“ spanische Musik. Die Hoffnung auf eine Art „Barroco mestizo“ – eine Art Begegnung in Klang und Kultur – wurde leider enttäuscht. Eher findet man die geistliche Musik als eine Art „Machtinstrument“ zur Missionierung und Kolonialisierung.
Aber da der Zugang zu den Quellen erst in allerjüngster Zeit besser wurde, könnte es sein, dass noch mit Entdeckungen und Ausgrabungen zu rechnen wäre. Es wäre gut und wichtig, und es wäre überfällig.